Freitag, 3. September 2010

Sinnloser Tod (I)

4. September 2008
Einer schwangeren Mutter in Klinik von Lich

Sinnloser Tod in der Asklepios-Klinik der hessischen Kleinstadt Lich: Eine 29-Jährige aus Wetzlar ist gestorben, weil sie als Zeugin Jehovas eine Bluttransfusion verweigerte und ihr Leben mit Blutersatzstoffen nicht zu retten war. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft von Gießen. Die Mutter der Toten hat Strafantrag gegen den verantwortlichen Arzt und gegen ihren Schwiegersohn gestellt.

Die Verweigerung von Bluttransfusionen begründet diese Glaubensgemeinschaft seit 1945 mit zwei Bibelzitaten: „Wer auch immer etwas von Blut isst, den will ich von seinem Volk aussondern.“ (3 Mos 17,10) und „dass sie sich enthalten von Ersticktem und von Blut.“ (Apg 15,20). Die Bibelauslegung der Zeugen Jehovas ist zwar auch in diesem Punkt willkürlich, dennoch fürchten Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft um ihren Platz im Paradies, wenn sie Bluttransfusionen zustimmen. Andererseits weisen die Zeugen Jehovas in ihren Schriften immer wieder auf Alternativen hin, die allerdings wieder einmal versagt haben.

In Berlin hat diese Glaubensgemeinschaft am 24. Mai 2005 Körperschaftsrechte bekommen, in anderen Bundesländern laufen entsprechende Bemühungen. Im Urteil des Berliner Oberverwaltungsgerichtes heißt es zur Verfassungstreue: „Ob die Antrag stellende Religionsgemeinschaft diese Gewähr bietet, ist an ihrem tatsächlichen Verhalten, nicht an ihrem Glauben zu messen.“

In Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) steht: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergeschriebenen Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“

In Artikel 1 geht es um die Würde des Menschen, in Artikel 20 um die Verteidigung des demokratischen und sozialen Bundesstaates.

Würde man endlich dem Oberverwaltungsgericht in Berlin folgen, könnte man die Zeugen Jehovas auf den Boden des Grundgesetzes zwingen und die Abschaffung des Blutverbots fordern oder den nach Artikel 20 geforderten Widerstand bis zur Verbotsandrohung leisten.

So lange wird immer wieder geschehen, was in Lich geschehen ist: Eine Mutter fleht Ärzte an, doch denen sind die Hände gebunden, wenn Zeugen Jehovas in Patientenverfügungen Bluttransfusionen ablehnen und im Krankenhaus Mitglieder der Glaubensgemeinschaft darauf achten, dass nichts ihnen Verbotenes geschieht.

Das Ermittlungsverfahren gegen den verantwortlichen Arzt und gegen den Schwiegersohn jedenfalls wird über kurz oder lang eingestellt. Längerfristig wirken könnte Aufklärung, die in den Schulen beginnen müsste. Da junge Zeugen Jehovas dazu angehalten werden, auch auf dem Schulhof über ihren Glauben zu berichten, könnte die Antwort sein: Ihnen werden Fragen gestellt. Solche beispielsweise: Wenn ihr Bluttransfusionen ablehnt, warum lasst ihr euch dann nicht auch beschneiden (Gen 17,10), warum hat Jesus gesagt „Nicht was zum Munde eingeht, macht den Menschen unrein, sondern was aus dem Munde hervorgeht“ (Mt 15,11), warum beruft ihr euch auf die Apostelgeschichte, in der es doch lediglich um einen Kompromiss geht, und zwar um diesen: Die aus dem Heidentum zum Christentum Bekehrten sollten nur drei Dinge ebenso wie die Juden halten: kein Götzenopferfleisch essen, keine Unzucht treiben und kein Blut genießen - und dann noch: Bei dem Zitat aus dem Buch Mose handelt es sich um eine Speisevorschrift, was hat eine Speisevorschrift mit einer medizinischen Behandlungsmethode zu tun?

Denn: Es muss Schluss sein mit diesen sinnlosen Todesfällen und damit, dass Ärzte in Gewissenskonflikte gestürzt und dann auch noch angezeigt werden. Wenn schon Strafanzeige, dann doch bitte gegen Richard E. Kelsey als derzeit deutschem Chef dieser Glaubensgemeinschaft. Aber auch die müsste ins Leere gehen.

Mail an die Bild am Sonntag

Sinnloser Tod (II)

Mail an Bild am Sonntag
2. Oktober 2008

Sehr geehrter Herr Kuhr,

ich habe den BamS-Bericht über den Tod einer Zeugin Jehovas in Lich noch einmal gelesen, weil ich Widersprüche entdecke zwischen dem, was Sie schreiben, und dem, was ein Kommentator schildert, der sich im Internet als "Ehemann der Verstorbenen" ausgibt. Ich habe deswegen bereits die Klinikleitung angeschrieben und auf http://zeugenjehovas.blogspot.com veröffentlichte ich dazu einen Kommentar. Denn: Der angebliche "Ehemann der Verstorbenen" macht den Ärzten und dem Pflegepersonal schwere Vorwürfe. Angeblich wurde zu spät reagiert, außerdem sollen Zeugen Jehovas alternative Medizin besorgt haben, die den "Ehemann der Verstorbenen" über 5000 Euro kosteten und die er demnach aus eigener Tasche bezahlen musste.

BamS antwortet nicht

Fax an Klinik und Staatsanwaltschaft

Sinnloser Tod (III)

Fax an Klinik und Staatsanwaltschaft

Aus aktuellem Anlass

Asklepios-Klinik Lich
Staatsanwaltschaft Gießen

30. September 2008

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 4. September 2008 habe ich für www.onlinezeitung24.de einen Beitrag über den Tod einer Zeugin Jehovas in der Asklepios-Klinik geschrieben. Dieser Kommentar führte zu etlichen Reaktionen, am 12. September 2008 meldete sich auch jemand zu Wort, der sich zweimal als „Ehemann der Verstorbenen“ ausgab und nicht nur erklärte, dass er einer Bluttransfusion zugestimmt habe, sondern den Ärzten und dem Pflegepersonal zudem „Leichtsinn, Verantwortungslosigkeit und Respektlosigkeit“ vorwarf.

Ein letzter Rettungsversuch sei am 4. Juli 2008 gegen 17 Uhr gescheitert, weil sich die Ärzte der Klinik geweigert hätten, Medikamente zu verabreichen, die von Ärzten der Zeugen Jehovas für die Behandlung vorgeschlagen worden waren. Nach dieser Weigerung habe er als Ehemann die Ärzte der Zeugen Jehovas gebeten, die Medikamente zu besorgen. Das sei zwei Stunden später geschehen, seine Frau habe diese Arzneien, die 5665,61 Euro gekostet haben sollen, auch bekommen. Doch es sei zu spät gewesen.

Nach dem Tod seiner Frau will dieser „Ehemann der Verstorbenen“ laut Kommentar vom 12. September 2008 die Klinikleitung um Begleichung der Arzneimittel-Rechnung gebeten haben. Das sei abgelehnt worden.

Die Kommentare weisen einige Merkwürdigkeiten auf. Aus seinen Beiträgen geht hervor, dass der nach eigenem Bekunden „Ehemann der Verstorbenen“ kritische Internet-Seiten über die Zeugen Jehovas liest und negativ bewertet, außerdem widerspricht er sich in seinem zweiten Beitrag. Erst schreibt er „Ich bin kein Zeuge Jehovas“, dann fürchtet er „als Sektenanhänger offen zur Schau gestellt“ zu werden. Merkwürdig kommt mir auch diese Behauptung vor: „Der Chirurg hat versucht, bei Gericht Genehmigung zu bekommen für eine Bluttransfusion - wurde abgelehnt wegen der Patientenverfügung meiner Frau.“

Presseberichten zufolge hat die Mutter der Toten das Klinikpersonal geradezu angefleht, mit einer Bluttransfusion das Leben ihrer Tochter zu retten, und nun schreibt auch der „Ehemann der Verstorbenen“, er habe einer Bluttransfusion am 4. Juli 2008 irgendwann zwischen 13 und 16 Uhr zugestimmt.

Darauf soll der Arzt mit einem Hinweis auf die Patientenverfügung reagiert haben. Der anschließende Satz lautet: „Jetzt auf einmal hatte jeder den Wunsch meiner Frau respektiert, wo sie bereits im Sterben lag, vorher aber haben sie es außer Acht gelassen!“ Dieser Wunsch lautete gemäß Patientenverfügung: keine Bluttransfusion!

Ich frage Sie: Stimmen die Schilderungen in den beiden Kommentaren auf www.onlinezeitung24.de mit den tatsächlichen Ereignissen überein? Hätte das Leben der Frau auch ohne Bluttransfusion gerettet werden können? Hat eine Ärztin der Klinik dem Ehemann am 4. Juli 2008 gegen 10 Uhr wirklich versichert, es bestehe kein Grund zur Besorgnis?

Ich leite dieses Schreiben auch an die Staatsanwaltschaft in Gießen weiter und mache es der Öffentlichkeit zugänglich.

7. Oktober 2008
Keine Antwort von der Klinik

Wir bitten um Verständnis, dass wir derzeit die Fragen Ihres Faxes aus datenschutzrechtlichen Gründen und wegen des anhängigen Verfahrens nicht beantworten können.

Axel Werntges
Geschäftsführer

Ermittlungsverfahren wird eingestellt

Sinnloser Tod (IV)

2. September 2010
Nach Tod einer werdenden Mutter: Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungsverfahren gegen deutschen Chef der Zeugen Jehovas ein

Nach zwei Jahren hat die Gießener Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Richard E. Kelsey als deutscher Chef der Zeugen Jehovas eingestellt. Der Tatvorwurf: fahrlässige Tötung. Von mir erhoben am 3. September 2008 wegen des Todes einer Zeugin Jehovas in der Asklepios-Klinik von Lich. Die 29-Jährige starb am 5. Juli 2008. Die Frau war schwanger. Sie hatte als Mitglied dieser Glaubensgemeinschaft eine Erklärung unterschrieben, in der sie Bluttransfusionen ablehnte. Die Mutter der Sterbenden flehte die Ärzte an, auch der Ehemann hat eigenen Angaben zufolge einer Bluttransfusion zugestimmt.

Nach dem Tod der 29-Jährigen und des ungeborenen Babys leitete die Gießener Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren gegen die Ärzte des Krankenhauses und gegen den Ehemann ein. Auch die wurden inzwischen eingestellt. Begründung: "Da der Arzt an den früher geäußerten Willen des Patienten gebunden ist, darf er, wenn - wie hier - kein Indiz für eine Sinnesänderung ersichtlich ist, die Bluttransfusion nicht vornehmen (vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rd-Nr. 94; BGH St.32, 367 (378)."

Bei der Verweigerung von Bluttransfusionen berufen sich die Zeugen Jehovas auf den alttestamentarischen Satz: "Wer auch immer was von Blut isst, den will ich von seinem Volk absondern." Dabei handelt es sich um eine der unzähligen jüdischen Speisevorschriften. Was hat eine Speisevorschrift mit Bluttransfusionen zu tun? Die zweite Quelle ist die Apostelgeschichte: "...dass sie sich enthalten von Ersticktem und von Blut." Dabei handelt es sich um einen Kompromiss der Jünger Jesu, die Heiden nicht die Annahme des gesamten jüdischen Gesetzes zugemutet haben bevor sie Christen werden konnten. Verlangt wurden: kein Götzenopferfleisch genießen, keine Unzucht treiben und kein Blut genießen.

Die willkürliche Bibelauslegung der Zeugen Jehovas ist für mich Anlass für die Strafanzeige gewesen. Die Gießener Staatsanwaltschaft entschied: "Unabhängig von der Funktion des Beschuldigten bei der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas ist keine Tathandlung seinerseits ersichtlich, die für den Tod der Frau J. ursächlich gewesen ist. Das bloße Mitwirken in einer solchen Glaubensgemeinschaft kann nicht als strafbare Handlung gewertet werden."

Die Entscheidung, Bluttransfusionen abzulehnen, habe die Tote "alleine und bei vollem Bewusstsein getroffen". Das beweise auch die von ihr unterschriebene Patientenverfügung. Die Gießener Staatsanwaltschaft abschließend: "Dass seitens des Beschuldigten diesbezüglich in irgendeiner Art auf Frau J. oder die beschuldigten Ärzte eingewirkt worden ist, ist nicht ansatzweise ersichtlich." (Geschäftszeichen 402 Js 25314/08)