Freitag, 25. Dezember 2009

Holzen XI

24. Oktober 2009
Ein zweites Mal: Akte wird geschlossen

"Der Tod war für mich in Holzen immer wieder zu spüren aber nicht zu greifen. Immer wieder kommen mir Bilder hoch:


Ich sehe einen leblosen Körper in Stoff gehüllt. Es sieht aus wie ein dünner Sack, keine Wolle, eher Leinen, vielleicht Betttücher. Die Farbe war hell. Dieser Sack wurde von zwei Personen getragen, ich weiß nicht mehr, ob es Frauen oder Männer waren. Das Bild wäre womöglich schon längst aus meiner Erinnerung verschwunden, wenn dieser Sack nicht über ein Loch gehalten worden wäre und für mich völlig überraschend und mich tief erschreckend nach vorne einfach abgeknickt wäre. Dieses Bild taucht immer wieder auf und wurde von mir lange als beginnender Wahnsinn abgewehrt."


Das steht seit Anfang 2009 im Netz. Verfasser: „jomi“.

„Da war das große Krankenbett mit dem kleinen Jungen Jürgen. Jürgen lag leblos und nackt und mit beiden Händen über dem Kopf ans Bett gefesselt. Sein linkes Bein war ans Fußteil des Bettes gebunden, nur das rechte Bein lag angewinkelt. Ich guckte ihn mir an und dann sah ich das viele Blut, das von seinem Po zu kommen schien. Die Blut-Lache war groß, von seinen Hüften bis zum Knie und auf der Seite des Bettes. Ich war starr vor Schreck.“

Das steht auf amerikanischen Internet-Seiten. Verfasserin: Carola T.

Kein Zweifel: Es ist schlimm zugegangen im Kinderheim „Rübezahl“, das es von 1955 bis 1972 auf dem Greitberg in Holzen (Landkreis Holzminden) gab. Daran hegen weder die Hildesheimer Staatsanwaltschaft noch die Kripo von Holzminden Zweifel. Andererseits bleibt es (noch) dabei: „Von Tötungsdelikten gehen wir nicht aus.“

Denn: Das in den USA lebende ehemalige Heimkind macht bislang keine näheren Angaben, „jomi“ ist bereits vernommen worden. Teilt mir jetzt die Hildesheimer Staatsanwaltschaft mit, die von mir erneut eingeschaltet worden ist.

Staatsanwalt Scholz öffnete die Akte wieder, dann schloss er sie ein zweites Mal. Begründung: „Die Nachermittlungen des Polizeikommissariats Holzminden haben zwischenzeitlich ergeben, dass es sich bei der Person, die im Internet unter ´jomi´ auftritt, um den im vorliegenden Verfahren bereits vernommenen Zeugen Jörg W. handelt.“ Diese Vernehmung habe am 15. Oktober 2008 stattgefunden. Aussage von Jörg W.: „Tötungsdelikte an Kindern habe ich nicht beobachtet. Zumindest habe ich heute keine Erinnerung mehr daran.“ Auch die „Beseitigung von Leichen“ sei von ihm nach seiner Erinnerung nicht beobachtet worden.

Sonntag, 13. Dezember 2009

Holzen Teil X

13. Oktober 2009
Kopfüber ins Plumpsklo

Die Heimkinder seien als zukünftige Versager oder Verbrecher abgestempelt gewesen, berichtet Jörg Walther (52) aus Reinheim bei Darmstadt. Er lebte von seinem dritten bis sechsten Lebensjahr in einem kirchlichen Kinderheim in Holzen bei Holzminden. «Wir wurden gezwungen, den Teller leer zu essen, auch wenn Erbrochenes drin war.» Zur Strafe seien Kinder kopfüber in ein Plumpsklo gehalten worden. Mit Schuhen, Teppichklopfern, Handfegern oder Peitschen seien sie verprügelt worden: «Unser Körper war gezeichnet, wir hatten alle Farben von schwarz, blau und grün bis rot.»


Bericht hier

Samstag, 12. Dezember 2009

Holzen Teil IX: Fax an Staatsanwalt und an Diakonie Himmelsthür

12. Oktober 2009
Wieder ein Mord-Vorwurf

Sehr geehrter Herr Staatsanwalt Scholz,
sehr geehrter Herr Pastor Hüsemann,

Die Fakten: Im 700-Seelen-Dorf Holzen (Landkreis Holzminden) hat es von 1955 bis 1972 auf dem Greitberg ein Kinderheim der Inneren Mission und somit der evangelisch-lutherischen Landeskirche gegeben. Dort kam es Erfahrungsberichten zufolge zu unvorstellbaren Grausamkeiten, die mit "schwarzer Pädagogik" allein nicht zu erklären sind. Soldaten sollen Heimkinder sexuell missbraucht haben, die Erzieherinnen neigten zu unglaublichen Strafen. Kinder wurden mit dem Kopf in ein Plumpsklo gehalten, sie wurden derart misshandelt, dass einem beim Lesen solcher Schilderungen der Atem stockt.

Die Hildesheimer Staatsanwaltschaft hat "wegen möglicherweise im Kinderheim ´Rübezahl´ in Holzen begangener Straftaten" ermittelt, das Ermittlungsverfahren wurde am 5. Februar 2009 eingestellt. Begründung: Die Straftaten sind verjährt. Der erhobene Mordvorwurf konnte nicht erhärtet werden.

Erhoben wurde dieser Vorwurf zuerst von einem ehemaligen Heimkind, das 1956 als Säugling in das Kinderheim kam. Jetzt stoße ich im Internet auf Berichte eines Betroffenen, der im Alter von zwei Jahren "Rübezahl"-Kind geworden ist. Dieser blog-betreiber, der sich jomi nennt, hat eigenen Angaben zufolge von September 1959 bis August 1963 in diesem Kinderheim gelebt. Er erzählt von einem Zaun, der für die Kinder tabu gewesen sei.

Weiter schreibt jomi: "Der Tod war für mich in Holzen immer wieder zu spüren aber nicht zu greifen. Immer wieder kommen mir Bilder hoch:

Ich sehe einen leblosen Körper in Stoff gehüllt. Es sieht aus wie ein dünner Sack, keine Wolle, eher Leinen, vielleicht Betttücher. Die Farbe war hell. Dieser Sack wurde von zwei Personen getragen, ich weiß nicht mehr, ob es Frauen oder Männer waren. Das Bild wäre womöglich schon längst aus meiner Erinnerung verschwunden, wenn dieser Sack nicht über ein Loch gehalten worden wäre und für mich völlig überraschend und mich tief erschreckend nach vorne einfach abgeknickt wäre. Dieses Bild taucht immer wieder auf und wurde von mir lange als beginnender Wahnsinn abgewehrt."

Anschließend schildert er einen Alptraum über eine Kirche. Die steht in Mainz-Weisenau. Als Student habe ich im benachbarten Stadtteil Laubenheim gewohnt. Ich kenne diese Kirche. Jomi wohnt möglicherweise in der Nähe, an anderer Stelle ist von Bad Kreuznach die Rede.

Die blogadresse: http://holzen-kinderheim-rubezahl-perversion-christlichen-auftrags.over-blog.de/article-28254599-6.html#c

M. E. müssen die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Oder ist jomi bereits verhört worden?

Sonntag, 31. Mai 2009

Holzen Teil VIII

31. Mai 2009
Neuer Vorwurf auf amerikanischen Internet-Seiten

Kinderheim „Rübezahl“ in Holzen (Landkreis Holzminden) und kein Ende? Die Staatsanwaltschaft Hildesheim hat am 5. Februar 2009 ein Ermittlungsverfahren wegen eines angeblichen Mordes in dieser Einrichtung, die bis 1974 von der Inneren Mission der evangelischen Landeskirche Hannover betrieben worden ist, eingestellt. Begründung des Staatsanwaltes: Der Mordverdacht sei nicht erhärtet worden, alle anderen Straftaten seien verjährt.

Die „vernommenen bzw. befragten ehemaligen Heimkinder“ hätten zwar von „seelischen und körperlichen Misshandlungen“ berichtet, aber „tatsächliche Anhaltspunkte“ für die Ermordung eines Jungen seien nicht gefunden worden. Kronzeugin war ein ehemaliges weibliches Heimkind, das zur vermeintlichen Tatzeit noch so jung war, dass sie diese Mordgeschichte wohl kaum in ihrer Erinnerung gespeichert haben kann. Zudem verweigerte die inzwischen 52-Jährige recherchierenden Journalisten jede weitere Auskunft.

Nun ist auf den Seiten einer amerikanischen Hilfsorganisation nicht nur der Erfahrungsbericht dieser Kronzeugin erschienen, sondern vor vier Tagen auch der Vorwurf, ein Hildesheimer sei gar nicht vernommen worden. Diese Behauptung steht im Widerspruch zu dem, was Staatsanwalt, der heutige Leiter der Diakonie in Himmelsthür und der für die Ermittlungen zuständige Kripobeamte sagen.

Dieses ehemalige Heimkind hat bis heute auf Nachfragen meinerseits nicht reagiert, Staatsanwalt, Diakonie-Leiter und Kripobeamter kennen die Geschichte dieses Leidgeprüften. Woher?

Zudem geht aus dem Bericht nicht hervor, was dieser Hildesheimer zur Aufklärung des angeblichen Mordes beitragen könnte. Im Ermittlungs-Raum steht allerdings immer noch ein Hinweis vom Niederrhein. Demnach gibt es ein ehemaliges männliches Heimkind, das mehr weiß. Doch an diesen „Rübezahl“-Informanten kommt bislang niemand heran, obwohl Staatsanwalt und Kripo großes Interesse an seiner Aussage bekundet haben.

Freitag, 1. Mai 2009

Holzen - Teil 1

8. November 2008
Ehemalige Heimkinder müssen eine Sprache finden

"Ich fände es prima, wenn wir eine Sprache fänden für all das, was wir als Kinder erleben mussten", schreibt ein ehemaliges Heimkind in einem Forum. Der erste Eintrag stammt vom 10. September 2008. Seitdem erfahren immer mehr Ehemalige: "...und es gab es doch, das Heim Rübezahl in Holzen."

Holzen ist ein 700-Seelen-Dorf in der Samtgemeinde Eschershausen. Das Ortswappen zieren ein schwarzer, silbern gebördelter Dreiberg mit gekreuztem Hammer und Schlägel, darauf steht eine grüne Buche. Symbolisiert werden so der für Holzen wichtige Asphaltbergbau und die ebenso wichtige Landwirtschaft.

In der Landwirtschaft gearbeitet hat auch Herbert Schlotter, bevor er in den Bergbau wechselte. Der in Schlesien geborene 78-Jährige trat 1979 in die SPD ein und war von 1981 bis 2001 Bürgermeister des Ortes. Das kam so: "Man hat mich gefragt, und ich habe es gemacht." Kürzlich ist er wieder gefragt worden. Dieses Mal nicht von seinen Genossinnen und Genossen, dieses Mal von der Kripo aus Holzminden. "Das Gespräch hat einige Stunden gedauert", sagt er.

Dabei ging es um ein Kinderheim, das von 1955 bis 1972 auf dem Greitberg existierte. In der 320-seitigen Dorfchronik, die Herbert Schlotter mit anderen 2004 zum 1000-jährigen Bestehen von Holzen veröffentlicht hat, wurden dem Heim Rübezahl sechs Absätze gewidmet. Das ist erstaunlich wenig, denn die Geschichte dieses Lagers kann als spannend gelten. Etwas mehr erzählte der Chronist Detlef Creydt aus Holzminden im vierten Band von "Zwangsarbeit für Industrie und Rüstung im Hils 1943 bis 1945".

Wir erfahren: Anfang August 1944 baute die Hitlerjugend aus Eschershausen auf dem Greitberg ein Zeltlager auf. Untergebracht wurden dort Häftlinge, die auf den Wiesen Baracken errichteten. Später wurde das Lager eingezäunt und der Draht unter Starkstrom gesetzt. Fertig war das Zuchthauslager Holzen als Außenstelle von Hameln und Celle.

Holzen Teil 2



Schranke vor dem ehemaligen Heimgelände. Foto: Tjaden


9. November 2008
Missbrauch und Morde in Kinderheim?

"Später wohnten dort die Letten", erinnert sich der ehemalige Bürgermeister und Chronist Herbert Schlotter. Damit gemeint sind aus Lettland vertriebene Deutsche. 40 waren es vom 1. Mai bis 1. August 1946. Im Mai 1947 wurde das Lager wieder aufgelöst. Plünderer stahlen, was nicht niet- und nagelfest war. Dann übernahm die Innere Mission das Lager und brachte dort 17- bis 24-Jährige unter, die an der so genannten "Zonengrenze" aufgegriffen worden waren. 23 wohnten schließlich auf dem Greitberg, sie brachten die Baracken wieder in Schuss, unterstützt wurden sie von einer Quäkerin mit Kleiderspenden. Der Strom kam von einem Stollen, die Wasserleitung bauten die 17- bis 24-Jährigen selbst.

1955 zogen "gefallene Mädchen" in das Lager ein. Mit ihnen kamen junge Männer auf Motorrädern. "Wir wussten gar nicht, woher die alle waren", denkt Herbert Schlotter an diese Episode zurück. Doch schon bald knatterten keine Motorräder mehr durch das Dorf und den Greitberg hinauf, denn - so der ehemalige Bürgermeister: "Diese Prostituierten waren schnell wieder weg" und aus dem Lager "Rübezahl" wurde ein Kinderheim, in dem Grausames geschehen sein soll.

"Dort war es auch nicht schlimmer als zu der Zeit in anderen Heimen", sagt zwar der 78-Jährige, aber in einem Strafantrag, der am 13. April 2008 gestellt worden ist, steht: "Es gibt eine ausgewanderte Augenzeugin und weitere Zeugen, die über Misshandlungen mit Todesfolge aussagen können." Im nächsten Absatz wird es konkreter: "Es wurde berichtet, dass Soldaten in der Zeit von 1956 bis 1963 nachts in die Schlafzimmer kamen, um sich an den Heimkindern sexuell zu befriedigen. Ein Zeitzeuge berichtet von einem gefesselten Kleinkind mit blutigem Po. Die getöteten Kinder sollen in die Munitionsbunker geworfen worden sein."

Kinderleichen soll es auch hinter dem Gasthaus "Roter Fuchs" geben. Dieses Ausflugslokal steht oben auf dem Greitberg. An diesem frühen Nachmittag sitzt nur ein Gast an der Theke. Der 80-Jährige hat finanzielle Sorgen: "Die Bank hat mir nur die Hälfte gegeben. Andreas verwaltet mein Geld. Das kann der doch nicht machen. Ich gehe zum Anwalt."

"Das ist eine sehr gute Idee", sagt der Wirt und kommt an meinen Tisch. Er nimmt meine Bestellung auf und beantwortet meine Frage nach dem ehemaligen Kinderheim "Rübezahl" ohne eine Sekunde des Nachdenkens: "Das sind von hier nur wenige Meter den Berg hinunter. Dort gibt es eine Schranke. Es sind aber nur noch die Fundamente vorhanden."

Holzen Teil 3

10. November 2008
Immer Rauschen in den Ohren

Der 80-Jährige sitzt in Hörweite, reagiert aber nicht, als ich auch ihn nach dem Kinderheim frage.

„Ich habe immer so ein Rauschen in den Ohren“, sagt er.

Wie ein ganzes Dorf, als es auf dem Greitberg ein Zuchthauslager gegeben hat?

„Die Behandlung der Insassen soll unmenschlich gewesen sein“, berichtet der Holzmindener Chronist Detlef Creydt. Einige Aufseher hätten sich brutale Strafen einfallen lassen: Den Kopf eines Häftlings zwischen Spind und Spindtür einquetschen, bis das Nasenbein bricht beispielsweise.

Das hat man im Dorf gewusst, so mancher steckte den Häftlingen unter Tage Brot zu, ein Aufseher versteckte Nahrungsmittel in einem Erdloch. Doch das Schlimmste konnte niemand verhindern: In dem Lager starben 32 Männer.

„Der Boden ist von Blut getränkt“, sagt ein Stuttgarter, der im Kinderheim „Rübezahl“ aufgewachsen ist. Es soll auch zwischen 1955 und 1972 geflossen sein. Auch ein ehemaliges Heimkind aus Darmstadt erinnert sich an „Gewalt und Demütigung“. Niemand habe sich darum gekümmert, „weghören und wegsehen“ gehöre wohl zur Tradition von Holzen.

„Wir waren isoliert“, sagt ein weiteres Heimkind aus der Region Hannover. Den Weg zur Schule legten die Heimkinder zu Fuß zurück, fünf Kilometer den Greitberg herunter, immer an der Straße entlang, bei Regen wurden sie so nass, dass ihre Klamotten während des Unterrichts getrocknet werden mussten.

„Das ging irgendwann nicht mehr so weiter“, sagt der ehemalige Bürgermeister Herbert Schlotter. Aber „isoliert“ sei das falsche Wort, denn: „Einmal im Jahr haben die Dorfkinder und die Heimkinder ein Schulfest gefeiert. Das fand auf dem Greitberg statt.“

Der Wirt des Gasthauses „Roter Fuchs“ berichtet sogar, dass er mit einem ehemaligen Heimkind in einem Nachbarort Fußball gespielt habe. Auch an den Namen erinnert er sich und fügt hinzu: „Der wohnt jetzt in Hildesheim.“

Manchmal sind Heimkinder, die nach der Schule keine Umwege machen durften, zu diesem Gasthaus gewandert. Der Wirt hatte Windbeutel für sie. Erfuhr die Heimleitung davon, soll es nach Angaben eines ehemaligen Heimkindes „Prügel ohne Ende“ gegeben haben.

Holzen Teil 4

20. Dezember 2008
Kann nie wieder gut gemacht werden

Daran möchte auch ein vierfacher Familienvater aus der Region Hannover nicht erinnert werden: „Wenn ich über meine Heimerfahrungen berichten würde, würde das alte Wunden wieder aufreißen.“ Auch seine Kinder wüssten nichts über seine Vergangenheit. Das solle so bleiben. Außerdem: „Ich erwarte keine finanzielle Entschädigung. Von der evangelischen Kirche will ich kein Geld. Was die uns als Kinder angetan haben, können die nie wieder gut machen.“

Die Wahrheit muss erzählt werden, meint dagegen der Dorfchronist Detlef Creydt. Auch er hat bereits Besuch von der Kripo aus seiner Heimatstadt bekommen und Herbert Schlotter, ehemals Bürgermeister des 700-Seelen-Dorfes Holzen, sagt zum Abschied: „Wenn Sie etwas herausfinden, dann geben Sie mir bitte Bescheid.“

Die Geschichte von den Kinderleichen nur haarsträubend findet Dr. Seliger, der in der Holzmindener Stadtbibliothek arbeitet und im ersten Stock ein kleines Büro hat: „Vielleicht gibt es auf dem Greitberg auch noch einen Tunnel...“ Den wohl nicht, dafür im 20 Kilometer langen Höhenzug Ith aber mehr als 20 Höhlen.

Dort sind immer neue Funde gemacht worden. 1988 wurde in der so genannten „Kinderhöhle“ ein zertrümmerter Schädel entdeckt. Er stammte von einem Vierjährigen. Dieses Geheimnis wurde aber schon im 19. Jahrhundert gelüftet: Prähistorische Menschen hatten in Höhlen Feinde verspeist, immer wieder gab es deswegen Knochenreste, die ans Tageslicht geholt wurden.

Solche Geschichten haben möglicherweise die Fantasie eines Heimkindes angeregt - als Erwachsene konnte sie schließlich Dichtung und Wahrheit nicht mehr auseinander halten? Gleichwohl: Die Kripo in Holzminden und die Staatsanwaltschaft in Hildesheim haben den Strafantrag noch nicht zu den Akten gelegt. Seit Juni 2008 gilt: „Zurzeit werden polizeiliche Vorermittlungen geführt.“ (Az.
NZS 17 AR 17182/08)

Noch einmal nach Holzen und auf den Greitberg: 1968 ist der Heimleitung die Kündigung des Pachtvertrages auf den Schreibtisch geflattert. 1972 zog die Innere Mission mit rund 50 Kindern ins Haus Harderode um. Den Spitznamen für eine der Heimleiterinnen nahm sie mit. Er lautete: „die Teufelin“.

Dann meldet sich wieder ein ehemaliges Heimkind. Wieder: Berichte über schwere Misshandlungen - und das gefesselte Kleinkind mit blutigem Po bekommt einen Namen: Jürgen.

Holzen Teil 5

Staatsanwaltschaft Hildesheim
Herrn Staatsanwalt Scholz
Postfach 101264


31112 Hildesheim

21. Dezember 2008
Az. NZS 17 AR 17182/08

Sehr geehrter Herr Scholz,

Ihnen liegt eine Strafanzeige vom 13. April 2008 gegen eine ehemalige Leiterin des Kinderheimes „Rübezahl“ (1955 bis 1972) in Holzen vor. Dabei geht es um den Tatvorwurf Mord.

Bislang habe ich starke Zweifel an der Mordtheorie gehegt. Wie Sie wissen, bin ich als Redakteur in Holzen gewesen, habe mich dort umgeschaut und sprach mit Zeitzeugen. Dazu gehörte der ehemalige Bürgermeister Herbert Schlotter (1981 bis 2001).

Was er mir berichtete, hielt ich u. a. so fest: „1955 zogen ´gefallene Mädchen´ in das Lager ein. Mit ihnen kamen junge Männer auf Motorrädern. ´Wir wussten gar nicht, woher die alle waren´, denkt Herbert Schlotter an diese Episode zurück. Doch schon bald knatterten keine Motorräder mehr durch das Dorf und den Greitberg hinauf, denn - so der ehemalige Bürgermeister: ´Diese Prostituierten waren schnell wieder weg´ und aus dem Lager ´Rübezahl´ wurde ein Kinderheim, in dem Grausames geschehen sein soll.“

Diese Zeilen schrieb ich kurz nach dem Gespräch mit dem ehemaligen Bürgermeister, genau gesagt am 9. November 2008. Seitdem sind sechs Wochen ins Land gegangen und nun taucht ein ehemaliges Heimkind auf, das folgende Aussage macht: „Dann waren da immer die englischen Soldaten. Sie kamen auf Motorrädern, Jeeps und manchmal Autos. Wir Kinder hatten alle Angst vor denen. Diese Soldaten misshandelten uns Kinder sexuell.“ (Den Erfahrungsbericht füge ich meinem Schreiben bei.)

Das ehemalige Heimkind heißt Carola Thompson und wohnt heute in den USA. Nach ihren Angaben ist sie 1956 in das Kinderheim „Rübezahl“ gekommen. Damals sei sie sechs Wochen alt gewesen.

In ihrem Bericht macht Carola Thompson bestimmte schreckliche Ereignisse an ihrem Lebensalter fest. So berichtet sie von einem Selbstmordversuch als Fünfjährige. Die „englischen Soldaten“ tauchen erst später in ihrem Bericht auf.

Festzuhalten bleibt also: Herbert Schlotter berichtet von jungen Männern auf Motorrädern im Jahre 1955, das ehemalige Heimkind von „englischen Soldaten auf Motorrädern“ um 1960 herum, denn als Säugling kann sie 1956 solche Szenen noch nicht gespeichert haben.

Der ehemalige Bürgermeister von Holzen hat mich gebeten, ihn auf dem Laufenden zu halten. Deshalb hat auch er heute per Post diesen Bericht von Carola Thompson von mir bekommen. Die Anschrift des ehemaligen Heimkindes kennen Sie bereits.

Mail von Carola Thompson

Diese Nachricht habe ich am 28. Dezember 2008 von dem ehemaligen Heimkind bekommen: "Herr Tjaden
ich habe nicht das Beduerfniss mit Ihnen oder anderen Medien, ueber Holzen zu korrespondieren.

C.Thompson"

Holzen Teil 6

10. Februar 2009
Nach knapp 10 Monaten wird die Akte geschlossen

„Für weitere Hinweise wäre ich sehr dankbar“, sagt der Hildesheimer Staatsanwalt Scholz, zurzeit aber habe er nur diese Möglichkeit: Die Akte Kinderheim „Rübezahl“ in Holzen bei Holzminden wird geschlossen, das Ermittlungsverfahren wegen Ermordung eines Kleinkindes in den 1950er-Jahren eingestellt. Die Vernehmung und Befragung ehemaliger Heimkinder habe keinen dringenden Tatverdacht ergeben.

Strafanzeige erstattete am 13. April 2008 Hermine Schneider vom Heimkinderverband, die in einem anderen kirchlichen Heim eine schlimme Kindheit verbracht hat. Auch im Kinderheim „Rübezahl“ sind Prügel, Missbrauch und Demütigungen an der Tagesordnung gewesen. Daran zweifelt auch Staatsanwalt Scholz kaum. Diese Straftaten allerdings sind verjährt. „Es geht nur noch um Mord. Nur Mord ist noch nicht verjährt“, sagt er. So stehe es im Strafgesetzbuch.

Trägerin des Kinderheimes war die Innere Mission der evangelisch-lutherischen Landeskirche. Die wechselte seinerzeit zwar hin und wieder die Leiterin aus, aber besser ist es für die Heimkinder nach ihren Aussagen nicht geworden. „Schwarze Pädagogik“ ist auch aus dieser Einrichtung nie verschwunden.

Bleibt nur noch festzuhalten: Es soll einen weiteren Zeugen geben, der bisher noch nicht befragt worden ist, weil weder die Hildesheimer Staatsanwaltschaft noch der Verfasser dieser Zeilen seinen Namen kennen. Falls sich daran etwas ändern sollte, verspricht Scholz: „Dann ermitteln wir weiter.“

Holzen Teil 7

1. Mai 2009
Hat ehemaliges Heimkind Roten Durchfall mit Blut verwechselt?

„Da war das große Krankenbett mit dem kleinen Jungen Jürgen. Jürgen lag leblos und nackt und mit beiden Händen über dem Kopf ans Bett gefesselt. Sein linkes Bein war ans Fußteil des Bettes gebunden, nur das rechte Bein lag angewinkelt. Ich guckte ihn mir an und dann sah ich das viele Blut, das von seinem Po zu kommen schien. Die Blut-Lache war groß, von seinen Hüften bis zum Knie und auf der Seite des Bettes. Ich war starr vor Schreck.“

Das erzählt auf einer amerikanischen Internetseite immer noch ein ehemaliges Heimkind, das 1956 im Alter von sechs Wochen in das Kinderheim „Rübezahl“ gebracht worden ist und dort bis 1963 blieb. Diese Schilderung schreckte die evangelische Kirche als damalige Trägerin der Einrichtung in Holzen (Landkreis Holzminden) auf, deswegen ermittelte die Hildesheimer Staatsanwalt, die Kripo von Holzminden befragte Zeitzeugen. Doch erhärtet werden konnte der Verdacht nicht, dass im Kinderheim „Rübezahl“ dieser Junge und möglicherweise auch noch andere Kinder auf gewaltsame Weise ums Leben gekommen sind.

Die Ermittlungen seien mit großer Sorgfalt und hohem Zeitaufwand geführt worden, berichtet ein Kripobeamter aus Holzminden. Einfach hätten es sich die Ermittler nicht gemacht, immer wieder habe es Probleme gegeben: Einige ehemalige Heimkinder waren zur Zusammenarbeit nicht bereit, so manche schlimme Geschichte beruhte auf Hörensagen, wurden Aussagen miteinander verglichen, kam es zu Ungereimtheiten. Aber - eine Geschichte sei von mehreren Zeugen unabhängig voneinander und ohne direkte Nachfrage erzählt worden: Eines Tages gab es im Kinderheim „Rübezahl“ Rote Beete. Viele Kinder bekamen davon Durchfall. Und: Der sei rot gewesen.

Hat also jene Belastungszeugin, die auf den amerikanischen Internetseiten ein Schreckenszenario entwickelt, als kleines Mädchen Blut mit rotem Durchfall verwechselt? Doch: Es soll immer noch einen Augenzeugen geben. Der aber meldet sich nicht. Da spitzt auch der Kripobeamte aus Holzminden die Ohren: „Wenn es neue Hinweise geben würde, würden wir die Ermittlungen sofort wieder aufnehmen.“

Kein Zweifel: Es ist schlimm zugegangen im Kinderheim „Rübezahl“, das es von 1955 bis 1972 auf dem Greitberg gab. Daran hegen weder die Hildesheimer Staatsanwaltschaft noch die Kripo von Holzminden Zweifel. Andererseits bleibt es (noch) dabei: „Von Tötungsdelikten gehen wir nicht aus.“

Ruhe kehrt in Holzen nicht ein. In dem 700-Seelen-Dorf in der Samtgemeinde Eschershausen malen sich immer noch einige aus, was geschehen würde, wenn eines Tages jemand käme, der mehr zu sagen hätte als bisher bekannt und bewiesen ist.

Samstag, 24. Januar 2009

OLG Düsseldorf antwortet nicht

24. Januar 2009
Keine Antworten vom Oberlandesgericht

„Die Beerdigung der Leiche des Raymund Beckers, 25. 12. 1957, in Wuppertal, wird genehmigt. Die etwaige Feuerbestattung wird für unbedenklich erachtet.“ Steht im Beerdigungsschein des Arztes. Und: Erforderlich sei aber noch eine Obduktion. Darauf wird verzichtet.

Endgültig zu den Akten gelegt wird der angebliche Selbstmord des 37-Jährigen vor dem Kinderdorf Sankt Josef in Dalheim am 25. August 2008. Begründung: Für das Düsseldorfer Oberlandesgericht (OLG) ergeben sich aus dem Wiederaufnahmeersuchen des Bruders keine neuen Verdachtsmomente für eine Gewalttat am 3. September 1995. Allerdings: Wann Raymund Beckers gestorben ist, gehört zu den immer noch ungeklärten Fragen. Elf Jahre später verlegt der Heimleiter vor laufender WDR-Kamera den Todeszeitpunkt in die Mitternachtsstunden. Dem widersprechen alle Zeugenaussagen, die Polizeiprotokolle und der Arztbericht.

Fast fünf Monate sind inzwischen vergangen, seit der von dem Wilhelmshavener Redakteur Heinz-Peter Tjaden erfundene Kommissar Internet deswegen bei der OLG-Pressestelle mit fünf Fragen öffentlich noch einmal nachgehakt hat. Antworten bekam er nicht.

Inhalt der Fragen: Mit 300 Mark in der Tasche hat Raymund Beckers am 2. September 1995 gegen 20.30 Uhr seine Wohnung in Wegberg verlassen. Als sein Tod festgestellt wurde, hatte er noch 50 Pfennig. Der Taxifahrer sagte später aus: „Wir sind gegen 23.15 Uhr angekommen.“ Er habe seinem Fahrgast aus dem Auto helfen müssen, so betrunken sei der gewesen.

Eine Stunde später klingelte Raymund Beckers an der Heimtür. Auch dafür gab es mehrere Zeugen. Ein Heimkind öffnete dem 37-Jährigen, in einem Aufenthaltsraum saßen mehrere Heimkinder, denen Raymund Beckers erzählte, er habe als Kind hier gelebt. Die Kleidung des Überraschungsgastes war ein wenig verschmutzt, stellte eine Erzieherin fest, die dazu kam. Sie roch auch eine Alkoholfahne - und schickte den Betrunkenen wieder weg. Danach vergingen um die vier Stunden, bis der Tote an einem Baum erhängt gefunden wurde. Haben Zeugen, die Polizei und der Arzt festgehalten - der Heimleiter aber nicht.

Auch diese Fragen von Kommissar Internet sind von der OLG-Pressestelle bis heute nicht beantwortet worden: „Eine Erzieherin schickte Raymund Beckers wieder weg, obwohl sie bemerkte, dass der Besucher betrunken war. Offenbar hat sie ihn nicht einmal gefragt, wie er wieder nach Hause kommt. Wie beurteilen Sie das Verhalten dieser Erzieherin?“

3. September 1995

2. September 2008
Kommissar Internet auf Spurensuche

Europas größte Filmzeitschrift „Cinema“ erscheint mit einem Titelbild, auf dem Kevin Kostner das Wasser bis zum Hals steht, berichtet wird über Chaos bei den Dreharbeiten zum Film „Waterworld“, Rosamunde Pilcher veröffentlicht den Roman „September“, Bundeskanzler Helmut Kohl äußert Unverständnis für das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das Box-Idol Max Schmeling feiert seinen 90. Geburtstag, der Wettergott spielt verrückt, Sonne, Wolken und Regen wechseln sich ab, die Temperaturen liegen zwischen 16 und 25 Grad. So ist der September des Jahres 1995.

René K., der seit 13 Jahren im Jugenddorf Sankt Josef in Dalheim lebt, wird von einem Freund mit dem Auto zum Heim gefahren. Es ist der 3. September 1995, 4.30 Uhr, als sie auf den Zufahrtsweg abbiegen. Im Scheinwerferlicht sieht Rene K. nach seiner Aussage einen Mann, der an einem Baum hängt. Er alarmiert die Erzieherin S. Sie ruft die Polizei an.

Polizeibeamte fahren zum Kinderdorf

In Erkelenz steigen die Polizeibeamten S. und H. in einen Streifenwagen und fahren zum Kinderdorf. Erwartet werden sie von Rene K. und von der Erzieherin S. Später vermerken sie in ihrem Einsatzbericht: „An einem Baum auf dem Zufahrtsweg zum Kinderdorf hatte sich eine männliche Person an einem Ledergürtel stranguliert.“

Bei dieser männlichen Person handelt es sich um Raymund Beckers, geboren am 25. Dezember 1957 in Wuppertal, der von 1959 bis 1972 im Jugenddorf Sankt Josef in Dalheim gelebt hat.

Die beiden Polizeibeamten schneiden mit einem Messer den Gürtel durch. Der Ast befindet sich in einer Höhe von 160 Zentimetern, die Beine des Toten sind angewinkelt. S. und H. durchsuchen die Leiche, sie finden keinen Ausweis, dafür aber eine Bescheinigung von einem Arbeitsamt und zwei Schlüssel.

Nächtlicher Besuch

Der Bereitschaftsarzt Dr. H. stellt den Tod von Raymund Beckers fest. Die Erzieherin S. gibt zu Protokoll: „Der Beckers kam am 3. September 1995 gegen 0.15 Uhr ins Kinderdorf und gab an, dort einen Besuch machen zu wollen. Er war stark alkoholisiert. Da ich die Person nicht kannte, schickte ich sie fort. Dieser Aufforderung kam der B. sofort nach.“ Auch Rene K. sagt aus, dass er den Toten nicht kenne.

Die beiden Polizeibeamten S. und H. fahren zur inzwischen ermittelten Adresse von Raymund Beckers, sie öffnen mit den beiden Schlüsseln, die sie bei der Leiche gefunden haben, die Eingangstür zum Mehrfamilienhaus in Wegberg und die Tür zur Parterrewohnung. In der Wohnung treffen sie Dieter E. an. Der 57-Jährige erklärt: „Ich bin der Hauptmieter. Raymund Beckers hat bei mir zur Untermiete gewohnt.“

S. und H. durchsuchen das Zimmer des Toten, auch dort finden sie keinen Ausweis oder Fotos. Dieter E. sagt dazu: „Herr Beckers hat keine Verwandten. Seinen Ausweis hat er verloren.“

Der 3. September 1995 ist ein Sonntag. Als der zuständige Kriminalbeamte am Tatort eintrifft, sind die beiden Polizeibeamten S. und H. noch dort, außerdem der Bereitschaftsarzt Dr. H. und der Leiter des Kinderdorfes Georg W.

Siehe auch

Aussagen und Untersuchungen

2. September 2008
Ein Fremder klingelt an der Heimtür

„Es handelt sich hierbei um die Zufahrt zum Kinderdorf Sankt Josef in Dalheim, ohne Straßenbezeichnung, die von der Straße Hessenfeld entlang des Friedhofs führt“, schreibt der zuständige Kriminalbeamte in seinem Bericht über die „Todesermittlungssache Beckers, Raymund, 25. 12. 57“. Als er dort angekommen sei, habe unter dem zweitletzten Baum vor der Einfahrt zum Kinderdorf eine männliche Leiche gelegen, der Lederleibriemen um den Hals des Toten sei fest zugezogen gewesen. Weiter schreibt er: „Der dazugehörende zweite Teil ist um den Ast eines Laubbaumes geknotet, der 1,60 m über dem Erdboden waagerecht ragt.“ Auf Seite 2 notiert dieser Kriminalbeamte, dass der Tote mit Schuhen 178 Zentimeter groß sei.

Bekleidet ist Raymund Beckers am 3. September 1995 mit einer ärmellosen Jacke, einem langärmeligen Hemd, einem T-Shirt und einer Jeans, er trägt weiße Socken mit rot-blauen Streifen und Schuhe mit Kreppsohlen. Am Hals des Toten stellt der Kriminalbeamte „oberflächliche Abdrücke des Gürtelmusters“ fest, rechts neben dem Kehlkopf entdeckt er das Muster der Gürtelschnalle, das ebenfalls nur oberflächlich zu sehen sei. Er fügt hinzu: „Eine genaue Führung bzw. genaue Abdrücke des Gürtels sind oberflächlich nicht zu sehen; oberflächliche Rötungen sind rund um den Hals erkennbar. Leichenstarre oder -flecken nicht vorhanden.“

Wann ist er gestorben?

Dazu findet man im Netz diese Informationen: „Die Totenstarre beginnt bei Zimmertemperatur nach etwa 1 bis 2 Stunden an den Augenlidern, Kaumuskeln (2 bis 4 Stunden) und kleinen Gelenken, danach setzt sie ein an Hals, Nacken und weiter körperabwärts und ist nach 14 bis 18 Stunden voll ausgeprägt (bei Hitze schneller, bei Kälte langsamer). Diese Reihenfolge, beschrieben durch die Nysten-Regel, findet sich jedoch nur in etwa 50 Prozent der Fälle.“

In dem Totenschein, den Dr. H. aus Wegberg am 3. September 1995 ausstellt, gibt es keine Angabe zum Sterbedatum, ein Kreuz macht dieser Arzt bei „Datum und Uhrzeit der Leichenauffindung“ und füllt die entsprechenden Kästchen mit „030905 0500“. Bei der Todesart kreuzt er an: „Ungeklärt, ob natürlicher oder nicht natürlicher Tod. Obduktion erforderlich“.

Der zuständige Kriminalbeamte untersucht Raymund Beckers am Fundort weiter und findet keine äußeren Verletzungen. Als Fundsachen zählt er auf: ein blaues Einwegfeuerzeug, ein 50-Pfennig-Stück, zwei Schlüssel, eine schwarze Herrengeldbörse mit einer Telefonkarte, einer Taxikarte und einer Besucherkarte des Arbeitsamtes in Erkelenz, eine Herrenarmbanduhr und ein kleiner Ring.

Fremden wieder weggeschickt

Anschließend befragt dieser Kriminalbeamte die Erzieherin S. und René K., der seit 13 Jahren in dem Jugenddorf Sankt Josef lebt und die Leiche im Scheinwerferlicht eines Autos, mit dem er gegen 4.30 Uhr vor dem Heim angekommen ist, gesehen haben will.

Die Erzieherin sagt aus, dass jemand am 3. September 1995 gegen 0.15 Uhr an der Haustür geklingelt habe, geöffnet habe der 17-jährige Heiminsasse Markus H. Raymund Beckers, der für alle ein Unbekannter gewesen sei, habe im Aufenthaltsraum drei Heimkinder angetroffen. Als sie in diesen Raum gekommen sei, habe der Fremde gesagt: „Ich wollte euch mal besuchen.“ Ihre Antwort sei gewesen: „Das ist um diese Zeit wohl nicht angebracht. Verlassen Sie bitte das Haus.“

Dann sei dies geschehen: Raymund Beckers bittet um eine Zigarette, er bekommt aber keine, die Erzieherin S. bemerkt an der Kleidung des offenbar Betrunkenen getrocknetes Gras, der Besucher steht auf und lässt sich von S. zur Tür bringen. Ärger gibt es nicht.

René K. gibt zu Protokoll, dass sein Fahrer und er nicht zu dem Mann am Baum gegangen seien, er habe vielmehr die Erzieherin S. informiert. Festzuhalten bleibt: Raymund Beckers hat das Heim gegen halb eins wieder verlassen, vier Stunden später taucht sein Körper im Scheinwerferlicht eines Autos auf.

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Wo sind die 300 Mark geblieben?

2. September 2008
Ausweis gefunden oder nicht?

„Es wurde kein Ausweis gefunden“, halten die beiden Polizeibeamten S. und H. fest, auch der zuständige Kriminalbeamte identifiziert den Toten lediglich aufgrund einer Besucherkarte des Arbeitsamtes in Erkelenz. Dennoch kreuzt der Arzt Dr. H. aus Wegberg im Totenschein für Raymund Beckers bei „Identifikation der Person“ das Kästchen „Nach Einsicht in Personalausweis/Reisepaß“ an. Zum Geburtsort des Toten merkt er an „nicht bekannt“. In jedem deutschen Pass steht aber auch der Geburtsort.

Doch um den Tod des ehemaligen Heimkindes ranken sich weitere Merkwürdigkeiten. Ein zweiter Kriminalbeamter macht sich noch am 3. September 1995 auf Spurensuche und spricht in Wegberg mit dem Vermieter des Erhängten Hans-Dieter E., mit einem Taxiunternehmen in Wegberg-Watern, mit dem Heimleiter und der Erzieherin S., er telefoniert mit der ehemaligen Freundin von Raymund Beckers in Schwalmtal und mit der Mutter des Toten in Altmyhl, er geht in die Leichenhalle und besucht die Gaststätte in Dalheim, in der Raymund Beckers eingekehrt ist.

Daraus ergibt sich folgendes Bild: Raymund Beckers greift am 2. September 1995 immer wieder zur Flasche. Auf einer Baustelle in Mönchengladbach leert er drei oder vier Flaschen Bier, zu Hause trinkt er die gleiche Menge, dazu Mariacron, gegen 20.30 Uhr klingelt bei der ehemaligen Freundin von Raymund Beckers das Telefon, am Apparat ist der Vermieter Hans-Dieter E., der den Hörer an seinen Untermieter weiter reicht. Sie teilt ihrem Ex-Freund mit: „Deine Tochter Bianca will dich nie wieder sehen, wenn du die Geschenke, die du ihr gemacht hast, wieder haben willst.“ Die beiden vereinbaren einen Termin für den nächsten Tag.

Danach ruft sich Raymund Beckers ein Taxi und leiht sich bei seinem Vermieter 100 Mark, obwohl er bereits über 200 Mark verfügt. Dennoch finden die beiden Polizeibeamten S. und H. rund achteinhalb Stunden später bei dem Toten nur 50 Pfennig, kurz vor Mitternacht lässt sich Raymund Beckers mit einem Taxi zum Jugenddorf Sankt Josef in Dalheim fahren und kann die Fahrt nicht bezahlen, weil er statt der geforderten sechs Mark nur noch drei Mark bei sich hat?

Die erste Taxifahrt verläuft chaotisch. Raymund Beckers steigt ein und will nach Mönchengladbach, nach fünf Minuten überlegt er es sich anders und nennt als Ziel Dalheim. Unterwegs kommt es zu einem Stopp in Klinkum, dort geht er zu einem Kiosk und zum zweiten Mal in eine Telefonzelle, um jemanden anzurufen.

Die Taxifahrt endet vor dem Dalheimer Hof, Raymund Beckers ist betrunken und erzählt in der Gaststätte, dass er vor 30 Jahren in Dalheim im Kinderdorf gewohnt habe, nach einem Glas Bier lässt er sich erneut ein Taxi rufen, schickt den Fahrer aber wieder weg, er setzt sich zu einem Gast, spielt mit ihm Karten und spendiert eine Lokalrunde.

Die Uhr zeigt 23.15 Uhr, als sich Raymund Beckers wieder ein Taxi rufen lässt und mit ihm zum Jugenddorf Sankt Josef fährt. Der Fahrer muss ihm aus dem Auto helfen und auf einen Teil des Fahrgeldes verzichten. Es ist Mitternacht, als Raymund Beckers zum Jugenddorf torkelt. Auf dem Weg dorthin muss er hingefallen sein, anders sind die Grasspuren, die von der Erzieherin S. an seiner Kleidung entdeckt worden sind, wohl kaum zu erklären.

Obwohl der Bericht des zweiten Kriminalbeamten sehr ausführlich ist, fehlen wichtige Angaben zum Verbleib der 300 Mark, die Raymund Beckers beim Verlassen seiner Bleibe in Wegberg gegen 20.30 Uhr bei sich gehabt haben soll. Interessant zu wissen wäre, wie viel die erste Taxifahrt gekostet hat, was er am Kiosk in Klinkum kaufte (Zigaretten?) und wie hoch seine Zeche im Dalheimer Hof war. Und wen hat Raymund Beckers von unterwegs angerufen? Seine Ex-Freundin kann es nicht gewesen sein, sie berichtet nur von einem Anruf, seine Mutter auch nicht, denn sonst hätte der Kriminalbeamte das vermerkt, das Jugenddorf Sankt Josef in Dalheim ebenfalls nicht, denn sonst wäre sein Besuch nicht so überraschend gekommen.

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Widersprüchliches

4. Juli 2008
WDR beschäftigt sich mit Todesfall

Zwei Kriminalbeamte haben sich mit dem Tod von Raymund Beckers befasst. Der zweite schreibt am 3. September 1995 in seinen Bericht: „In der Leichenhalle des Friedhofs Dalheim wurde nun die Leiche nochmals in Augenschein genommen. Sie wies keinerlei äußere Verletzungen oder Hinweise auf Kampfhandlungen auf. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, die die Annahme rechtfertigen, Beckers sei von einem Dritten an den Baum gehängt worden.“

Ein Staatsanwalt aus Mönchengladbach gibt die Leiche frei. Im Beerdigungsschein heißt es: „Die Beerdigung der Leiche des Raymund Beckers, 25. 12. 1957, in Wuppertal, wird genehmigt. Die etwaige Feuerbestattung wird für unbedenklich erachtet.“ Obwohl der Arzt, der den Totenschein ausstellt, eine Obduktion für erforderlich hält, wird darauf offenbar verzichtet.

Toten gegen Mitternacht gefunden?

Elf Jahre später beschäftigt sich der Westdeutsche Rundfunk (WDR) auch mit dem Todesfall Raymund Beckers. Der Leiter des Jugenddorfes Sankt Josef in Dalheim sagt vor laufender Kamera: „Es kam dann gegen Mitternacht einer der ältern Jugendlichen nach Hause und da hat er sich am Baum erhängt und und dann gesehen, hat der ältere Jugendliche."

Zu dieser Zeit sitzt Raymund Beckers aber entweder noch im Taxi oder er klingelt gerade an der Tür des Jugenddorfes. Der erste Kriminalbeamte, der sich mit diesem Fall beschäftigt, wird um 5 Uhr morgens alarmiert, der Heiminsasse, der den Toten dem Ermittlungsbericht zufolge gegen 4.30 Uhr entdeckt, ist fast 21 Jahre alt, also kein älterer Jugendlicher mehr, sondern ein junger Erwachsener

Tür nicht zugeschlagen

Der Bruder des Toten trägt die Fakten zusammen, am 20. Oktober 2007 bekommt er eine Mail vom Jugenddorf-Leiter: „Wir haben Ihnen bereits im persönlichen Gespräch dargelegt, dass die Informationen, auf die Sie sich zu stützen scheinen, nicht den objektiven Tatsachen entsprechen. Ihrem Bruder wurde hier im Kinderdorf nicht die Tür vor der Nase zugeschlagen. Er hat auch keine Selbsttötungsabsicht geäußert. Andernfalls hätten wir sicherlich versucht, diesen Freitod zu verhindern.“

Wiederholt sei an dieser Stelle: Als Raymund Beckers gegen Mitternacht beim Jugenddorf ankommt, ist er so betrunken, dass ihm der Fahrer aus dem Wagen helfen muss, auch die Erzieherin S. gibt zu Protokoll, dass der späte Gast betrunken gewesen sei - dennoch schickt sie ihn um diese Uhrzeit wieder weg und fragt ihn nicht einmal, wo er die Nacht verbringen wird?

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Wiederaufnahmeantrag

7. Juli 2008
Wie ist es um die nächtliche Aufsicht bestellt?

„Aus dem Verhalten des Raymund Beckers ist zu schließen, dass er nach dem Telefonat mit der Mutter seines Kindes zu dem Dorf fuhr, wo er selbst einen Teil seiner Kindheit verbracht hat. Nachdem er stark betrunken war, suchte er das Kinderdorf auf, in dem er selbst gewohnt hatte. Nachdem er dort abgewiesen worden war, dürfte er sich vor dem Kinderheim mit seinem Leibriemen an einem Baum erhängt haben. Es haben sich keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden an dem Tod des Raymund Beckers ergeben“, schließt der zweite Kriminalbeamte, der sich mit diesem Fall beschäftigt hat, am 3. September 1995 seinen Bericht ab. Notiert hat er auf Seite 2 auch, dass der Leiter des Jugenddorfes Sankt Josef in Dalheim inzwischen „eine Registratur des Raymund Beckers“ gefunden habe, auch der Bruder des Toten, Johann Lambert Beckers aus Mönchengladbach, habe in diesem Heim gewohnt.

In dieser Registratur steht der Name und die Anschrift der Mutter von Raymund und Johann Lambert Beckers. Sie hat 1960 geheiratet und bekommt mit ihrem Mann drei weitere Kinder. Die Beerdigungskosten begleicht jedoch der Bruder aus Mönchengladbach, dem auffällt, dass der Tote von einer Leichenhalle zur anderen gebracht worden ist. Für Johann Lambert Beckers dauert die Suche nach seiner Mutter bis 2001. Diese Suche hätte man ihm erleichtern können.

Zweifel an Selbstmordtheorie

Johann Lambert Beckers zweifelt bis heute an der Selbstmordtheorie. Im April 2008 schaltet er einen Anwalt ein, der am 28. April 2008 beim Düsseldorfer Landgericht einen Wiederaufnahmeantrag stellt. In diesem Antrag heißt es: „Für den Antragsteller besteht der dringende Verdacht, dass sein Bruder nicht Selbstmord begangen hat, sondern Opfer eines Tötungsdelikts geworden ist.“ Weiter schreibt er: „Raymund Beckers klingelte an der Tür des Kinderheimes und begehrte Einlass. Von einer weiblichen Angestellten wurde ihm dies jedoch verweigert. Raymund Beckers lief danach noch eine Weile im Kinderdorf und auf dem angrenzenden Friedhof herum.“

Der Bruder des Toten wird von einem Kriminaloberkommissar aus Heinsberg verhört, bei diesem Verhör soll der Beamte gesagt haben: „Die Akten sind schon alle vernichtet, auch die Staatsanwaltschaft hat keine Todesermittlungsakten gefunden.“ Doch plötzlich tauchen diese Unterlagen wieder auf. In diesem Zusammenhang beschwert sich der Anwalt von Johann Lambert Beckers darüber, dass er bislang keine Akteneinsicht bekommen habe.

Warum tut Erzieherin nichts?

Das Verhalten der Erzieherin S., die Raymund Beckers zu mitternächtlicher Stunde wieder weggeschickt hat, wertet er als mögliche „fahrlässige Tötung“, denn: „Zumindest wäre zu erwarten gewesen, dass sie einen Arzt, eine Klinik und/oder die Polizei angerufen hätte, damit Raymund Beckers einem Amtsarzt vorgestellt oder in eine Psychiatrie gebracht worden wäre. Von Seiten der Angestellten des Kinderheimes wurde jedoch nichts dergleichen veranlasst, obwohl die vorgeschilderten Maßnahmen nahe gelegen hätten.“

Machen wir uns noch einmal klar: Raymund Beckers klingelt gegen 0.15 Uhr an der Tür des Jugenddorfes Sankt Josef in Dalheim, ein Heimkind lässt ihn eintreten, im Aufenthaltsraum sitzen drei weitere Kinder, die Erzieherin S. kommt dazu und begleitet Raymund Beckers zur Tür, danach hält sich der 37-Jährige noch eine Zeitlang im Jugenddorf auf und geht auch zum angrenzenden Friedhof. Davon hat niemand etwas mitbekommen? Niemand hat sich darum gekümmert, dass draußen ein Betrunkener herumtorkelt? Wie ist es da um die nächtliche Aufsicht in diesem Jugenddorf bestellt?

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Kontaktsperre

8. Juli 2008
Am Ende einer unbewohnten Sackgasse

„Außerdem müsste der genaue Todeszeitpunkt festgestellt werden“, schreibt der Anwalt von Johann Lambert Beckers abschließend in seinem Wiederaufnahmeantrag, denn: „Wenn der jugendliche Heiminsasse den toten Raymund Beckers bereits gegen Mitternacht aufgefunden haben will, ist es nicht erklärlich, dass dann der Todeszeitpunkt im Sterbebuch der Stadt Wegberg erst zwischen 0.15 und 5 Uhr bescheinigt wurde. Warum wurden dann die Ermittlungsbehörden nicht schon um Mitternacht benachrichtigt?“

Obwohl es offenbar Klärungsbedarf gibt, will das Düsseldorfer Oberlandesgericht den Fall nicht wieder aufrollen. Mit Beschluss vom 13. Mai 2008 (Az. III-2Ws 148-150/08 502 UJs 646/07) wird der Wiederaufnahmeantrag abgelehnt. Der Antrag genüge den gesetzlichen Vorschriften nicht, entscheiden die Richter: „Insbesondere muss sich aus einer kurzen Schilderung des Sachverhalts ergeben, dass ein Beschuldigter eine strafbare Handlung begangen hat.“ Daran mangele es: „Nach dem Vortrag des Antragstellers gibt es keinen Umstand, der auf eine vorsätzliche oder fahrlässige Tötung hindeuten könnte. Die Ausführungen in der Antragsschrift erschöpfen sich in Vermutungen und - teilweise sich ausschließenden - hypothetischen Geschehensabläufen, für die es keine tatsächliche Grundlage gibt. Konkrete Anhaltspunkte für die Aufnahme von Ermittlungen wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Tötung werden nicht dargelegt.“

Ehepaar bekommt Akteneinsicht

Damit endet die Geschichte von Raymund Beckers, der am 3. September 1995 vor dem Jugenddorf Sankt Josef in Dalheim Selbstmord begangen haben soll? Im Gegenteil: Sie scheint erst zu beginnen. Johann Lambert Beckers und seine Frau Andrea bekommen am 26. Juni 2008 bei der Mönchengladbacher Staatsanwaltschaft Akteneinsicht.

So erfährt das Ehepaar, dass der Tote vor dem Eingang des Jugenddorfes am zweiten Baum links gegen 4.30 Uhr im Scheinwerferlicht eines Autos aufgetaucht sein soll. Johann Lambert und Andrea Beckers fahren nach Dalheim, machen zwei Fotos, zwei Jugendliche rollen auf Inlinern heran und fragen: „Was macht Ihr hier?“ Dann erkennen die beiden Jugendlichen Johann Lambert Beckers, weil sie schon auf seinen Internet-Seiten www.exheim.de gewesen sind. Zu weiteren Kontakten mit Heimkindern kommt es nicht. So steht es in einer Eidesstattlichen Versicherung von Andrea Beckers.

Jugenddorfleiter erlässt Kontaktsperre

Damit reagiert die Ehefrau von Johann Lambert Beckers auf einen Brief, den der Leiter des Jugenddorfes Sankt Josef am 1. Juli 2008 abgeschickt hat. In diesem Schreiben macht er dem Bruder von Raymund Beckers schwere Vorwürfe, die von der Gefährdung von Heimkindern wegen eines zu rasanten Fahrstils bis hin zum unberechtigten Betreten des Jugenddorfes reichen. Zum Schluss schreibt er: „Wir haben auch unsere Kinder aufgefordert, sich von Ihnen und allen fremden Personen fern zu halten.“

Einen Satz aus dem Schreiben des Jugenddorfleiters muss man mehrmals lesen, er lautet: „Das Kinderdorf liegt abgelegen am Dorfrand, neben einem Friedhof, am Ende einer sonst unbewohnten Sackgasse.“ Dort hat die Erzieherin S. am 3. September 1995 nach Mitternacht einen offenbar Betrunkenen in die Dunkelheit entlassen?

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Neuer Todeszeitpunkt

31. August 2008
Woher hat Gericht diesen Todeszeitpunkt?

„Gegen Mitternacht fand man den Bruder tot an einem Baum hängend auf.“ So steht es in einem Urteil, das am 8. August 2008 mit dem Aktenzeichen 1 O 177/08 vom Mönchengladbacher Landgericht gesprochen worden ist und schon gibt es eine neue Merkwürdigkeit im Todesfall Raymund Beckers, der am 3. September 1995 vor dem Kinderdorf Sankt Josef in Wegberg Selbstmord begangen haben soll.

Der Bruder des Toten will sich mit dieser Erklärung nicht abfinden, er stellt immer neue Fragen, geht allerdings manchmal auch ziemlich ruppig mit dem heutigen Heimleiter um, der deswegen Klage erhoben hat und den Prozess gewann. Bestimmte Dinge darf der Bruder von Raymund Beckers nicht mehr behaupten.

Doch: Woher hat das Möchengladbacher Landgericht diesen Todeszeitpunkt? Im Widerspruch dazu stehen die Aussage eines Taxifahrers, der zu Protokoll gegeben hat, dass er dem 37-Jährigen kurz vor Mitternacht vor dem Kinderdorf aus dem Auto helfen musste, weil Raymund Beckers zu tief ins Glas geschaut hatte, die Aussage einer Erzieherin, die angab, der angebliche Selbstmörder habe um 0.15 Uhr Einlass begehrt, geöffnet worden sei ihm von einem 17-jährigen Heimkind, im Aufenthaltsraum hätten mehrere Heimkinder gesessen, doch sie habe Raymund Beckers wegen der späten Stunde wieder weggeschickt, die Berichte von zwei Polizeibeamten, der Totenschein, in dem die Todeszeit mit 5 Uhr angegeben wurde, und die Aussage des Heiminsassen René K., der zu Protokoll gab, er sei mit dem Auto gegen 4.30 Uhr zum Kinderdorf gebracht worden und habe im Scheinwerferlicht einen Mann gesehen, der an einem Baum hing.

Von 1959 bis 1972 hat Raymund Beckers in diesem Kinderdorf gelebt, warum er an diesem September-Wochenende des Jahres 1995 seinem ehemaligen Heim einen Besuch abstatten wollte, ist ebenso rätselhaft wie jetzt der Todeszeitpunkt im Urteil des Mönchengladbacher Landgerichtes.

Fotos vom Fundort




Diesen Weg beschreibt die Polizei.