2. September 2008
Ausweis gefunden oder nicht?
„Es wurde kein Ausweis gefunden“, halten die beiden Polizeibeamten S. und H. fest, auch der zuständige Kriminalbeamte identifiziert den Toten lediglich aufgrund einer Besucherkarte des Arbeitsamtes in Erkelenz. Dennoch kreuzt der Arzt Dr. H. aus Wegberg im Totenschein für Raymund Beckers bei „Identifikation der Person“ das Kästchen „Nach Einsicht in Personalausweis/Reisepaß“ an. Zum Geburtsort des Toten merkt er an „nicht bekannt“. In jedem deutschen Pass steht aber auch der Geburtsort.
Doch um den Tod des ehemaligen Heimkindes ranken sich weitere Merkwürdigkeiten. Ein zweiter Kriminalbeamter macht sich noch am 3. September 1995 auf Spurensuche und spricht in Wegberg mit dem Vermieter des Erhängten Hans-Dieter E., mit einem Taxiunternehmen in Wegberg-Watern, mit dem Heimleiter und der Erzieherin S., er telefoniert mit der ehemaligen Freundin von Raymund Beckers in Schwalmtal und mit der Mutter des Toten in Altmyhl, er geht in die Leichenhalle und besucht die Gaststätte in Dalheim, in der Raymund Beckers eingekehrt ist.
Daraus ergibt sich folgendes Bild: Raymund Beckers greift am 2. September 1995 immer wieder zur Flasche. Auf einer Baustelle in Mönchengladbach leert er drei oder vier Flaschen Bier, zu Hause trinkt er die gleiche Menge, dazu Mariacron, gegen 20.30 Uhr klingelt bei der ehemaligen Freundin von Raymund Beckers das Telefon, am Apparat ist der Vermieter Hans-Dieter E., der den Hörer an seinen Untermieter weiter reicht. Sie teilt ihrem Ex-Freund mit: „Deine Tochter Bianca will dich nie wieder sehen, wenn du die Geschenke, die du ihr gemacht hast, wieder haben willst.“ Die beiden vereinbaren einen Termin für den nächsten Tag.
Danach ruft sich Raymund Beckers ein Taxi und leiht sich bei seinem Vermieter 100 Mark, obwohl er bereits über 200 Mark verfügt. Dennoch finden die beiden Polizeibeamten S. und H. rund achteinhalb Stunden später bei dem Toten nur 50 Pfennig, kurz vor Mitternacht lässt sich Raymund Beckers mit einem Taxi zum Jugenddorf Sankt Josef in Dalheim fahren und kann die Fahrt nicht bezahlen, weil er statt der geforderten sechs Mark nur noch drei Mark bei sich hat?
Die erste Taxifahrt verläuft chaotisch. Raymund Beckers steigt ein und will nach Mönchengladbach, nach fünf Minuten überlegt er es sich anders und nennt als Ziel Dalheim. Unterwegs kommt es zu einem Stopp in Klinkum, dort geht er zu einem Kiosk und zum zweiten Mal in eine Telefonzelle, um jemanden anzurufen.
Die Taxifahrt endet vor dem Dalheimer Hof, Raymund Beckers ist betrunken und erzählt in der Gaststätte, dass er vor 30 Jahren in Dalheim im Kinderdorf gewohnt habe, nach einem Glas Bier lässt er sich erneut ein Taxi rufen, schickt den Fahrer aber wieder weg, er setzt sich zu einem Gast, spielt mit ihm Karten und spendiert eine Lokalrunde.
Die Uhr zeigt 23.15 Uhr, als sich Raymund Beckers wieder ein Taxi rufen lässt und mit ihm zum Jugenddorf Sankt Josef fährt. Der Fahrer muss ihm aus dem Auto helfen und auf einen Teil des Fahrgeldes verzichten. Es ist Mitternacht, als Raymund Beckers zum Jugenddorf torkelt. Auf dem Weg dorthin muss er hingefallen sein, anders sind die Grasspuren, die von der Erzieherin S. an seiner Kleidung entdeckt worden sind, wohl kaum zu erklären.
Obwohl der Bericht des zweiten Kriminalbeamten sehr ausführlich ist, fehlen wichtige Angaben zum Verbleib der 300 Mark, die Raymund Beckers beim Verlassen seiner Bleibe in Wegberg gegen 20.30 Uhr bei sich gehabt haben soll. Interessant zu wissen wäre, wie viel die erste Taxifahrt gekostet hat, was er am Kiosk in Klinkum kaufte (Zigaretten?) und wie hoch seine Zeche im Dalheimer Hof war. Und wen hat Raymund Beckers von unterwegs angerufen? Seine Ex-Freundin kann es nicht gewesen sein, sie berichtet nur von einem Anruf, seine Mutter auch nicht, denn sonst hätte der Kriminalbeamte das vermerkt, das Jugenddorf Sankt Josef in Dalheim ebenfalls nicht, denn sonst wäre sein Besuch nicht so überraschend gekommen.
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