Dienstag, 18. August 2020

D-Day als Lebensretter (III)

Feldpost aus Kiel. 
Rathaus und Stadttheater in Kiel. 










Banges Warten in der Todeszelle/Ein jüdischer Kaufmann aus Wilhelmshaven

Im Deutschen Reich ergingen während des Zweiten Weltkriegs mehr als 30.000 Todesurteile gegen Soldaten der Wehrmacht - wegen Fahnenflucht, Zersetzung der Wehrkraft oder Befehlsverweigerung. Etwa 20.000 von ihnen wurden hingerichtet.

Mein Vater soll am 6. Juni 1944 hingerichtet werden. Er sitzt in seiner Zelle. Hört draußen Schritte. Dann Schüsse. An seinem Kameraden ist das Todesurteil vollstreckt worden. 

Mein Vater erzählt mir diese Geschichte 1991, als sei es die Geschichte eines Fremden. Nicht seine. Er hört nicht mehr auf. 

Nach Stunden des bangen Wartens befreit sich mein Vater aus seiner Zelle. Er ist allein. Macht sich auf die Suche nach seiner Einheit.

"Warum hast du dich nicht einfach irgendwo in den Niederlanden versteckt?", frage ich ihn. 

Darauf weiß er keine Antwort. Die Amerikaner befreien Belgien und Frankreich. Mein Vater trifft gelegentlich auf deutsche Soldaten, denen er sich anschließt. 

"In einem Bauernhof haben wir uns etwas gebrutzelt", erzählt er. "Der Herd war noch warm, weil die Amerikaner vor uns dort waren."

Mein Vater gerät in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Für ihn ist der Krieg zu Ende.

Bei meinem nächsten Besuch meiner Eltern in Wilhelmshaven erzähle ich meiner Mutter diese Geschichte. Sie will sie nicht glauben, fügt dieser Geschichte aber noch eine Geschichte hinzu: "Er ist nur ein paar Tage in Gefangenschaft gewesen. Er wurde entlassen, weil sich ein jüdischer Kaufmann aus Wilhelmshaven für ihn eingesetzt hatte."

"Wie hieß der?"

"Weiß ich nicht mehr."

"Das musst du doch wissen."

"Weiß ich aber nicht."

Uns hat man die aufmüpfige Generation genannt, die Generation meiner Eltern war wohl die verdrängende Generation.

Zum Beginn  


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